Das war sie also, die 93. Flandernrundfahrt. Ein Klassiker bei Sonnenschein mit tobenden Fans am Wegesrand und einem entfesselt fahrenden Stijn Devolder, der seinen 2. Sieg in Serie landete. Nach vielen großen Flamen der Vergangenheit, scheint das Monument einen neuen Helden geboren zu haben. Eigentlich ist alles perfekt: Devolder fährt offensiv, lässt die anderen auf spektakuläre Art und Weise stehen und dominiert das Rennen auf den letzten Kilometern, wie es schon lange keinem Fahrer mehr gelungen ist.
Er kommt aus Westflandern, aus Kotrijk, also dem Gebiet des Rennens und verkörpert den Fahrertyp, den die flämischen Zuschauermassen am inoffiziellen Nationalfeiertag gewinnen sehen wollen. Der Sprung in die höchste Kategorie der Legenden Flanderns ist nach dem 2. Triumph am alterwürdigen Halsesteenweg in Meerbeke geschafft! Eigentlich ja eine schöne Flandernrundfahrt, das Wetter passte, der Sieger passte, das Rennen war abwechslungsreich…. Aber während ich den jüngsten der großen Klassiker verfolgte, hatte ich ständig das Gefühl: Da fehlt etwas. Es war die Würze, es war das i-Tüpfelchen jedes Rennens, es war das Finale! 263 km lang habe ich auf den Schlagabtausch der Favoriten gewartet, 263 km lang wartete ich vergebens.
Die Tendenz, dass bei der „Ronde“, wie das Rennen von den vielen Radsportfans weltweit genannt wird, eine gewisse Angst vor dem Angreifen besteht, scheint sich zu bestätigen. Der Sieger Stijn Devolder profitierte zum zweiten Mal nach 2008 von einem sehr zögerlichen Verhalten der anderen Favoriten. Als er es am Eikenmolen, der drittletzten Steigung probierte sich anzusetzen, kamen nur sehr verhaltene Reaktionen im Hauptfeld. Lediglich Sergej Ivanov setzte ganz vorsichtig nach, gab den Versuch aber kurz darauf wieder auf. 25 km vor dem Ziel war das Rennen zu Ende. Devolder konnte von dort an unbehelligt zur Spitze aufschließen, diese stehen lassen und den gekühlten Champagner im Ziel abholen, keine Gegenwehr weit und breit. Aber warum? Devolder war Vorjahressieger und ein bekannt guter Fahrer. Außerdem hatte er 2008 genau denselben berg für seinen Angriff gewählt. Warum ließ man ihn wieder ziehen? Die Antwort ist nicht schwer herauszufinden: Devolder war trotz des Vorjahressieges für die Konkurrenz nur der 2.Mann hinter Kapitän Tom Boonen.
So machten viele Fahrer den selben Fehler, wie noch 2008, und glaubten, Devolder bereite mit dem Angriff nur das Finale für den eigentlichen Quick-Step Chef vor. Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass selbst bei den großen Klassikern nichts mehr riskiert wird und die Favoriten ihre Kräfte alle bis zum Schluss aufbehalten möchten, sonst wäre ja jemand mitgegangen. Vor allem beim großen Duell des Tages zeigte sich dieser Eindruck verstärkt: Tom Boonen und Filippo Pozzato konnten sich zwar ganze drei Mal vom Verfolgerfeld lösen, ließen sich dann aber immer wieder von der Gruppe dahinter einholen. Die beiden hätten sich „zu Tode gefahren“, wie es Tom Boonen bezeichnete. Der belgische Volksheld monierte dabei Pozzatos Fahrweise: Er habe schon „vor dem Fahren mit dem Taktieren begonnen“. So war es zwar für den Zuschauer sehr spektakulär, als die beiden am Koppenberg, der schwierigsten Rennpassage attackierten und die Verfolger um einige Radlängen abhängten, aber am Ende blieben diese Showeinlagen bedeutungslos. Bezeichnenderweise war es bei 2 der 3 Duelle Tom Boonen, der die Iniative ergriff. Im Ziel konnte er seinen Zorn nur schwer verbergen: Er habe einen „Schatten“ gehabt.
Während Tom Boonen, gefangen im taktischen Korsett, all seine Chancen auf den Sieg verlor, konnte sich sein unbeachteter Teamkollege Devolder zum 2. Sieg in Folge aufmachen. Alle Blicke waren auf Boonen gerichtet. Die Favoriten achteten haargenau darauf, wann er seinen Angriff forciert um sich abzusetzen. Ein Auge war immer auf den gebürtigen Hasselter gerichtet um den alles entscheidenden Moment ja nicht zu übersehen. Der Angriff kam nicht und somit war das Rennen 25 km vor dem Ziel entschieden.
Eurosport Kommentator Ulli Jansch lobte Devolder dann als „stärksten Fahrer des Rennens“. Diesen Eindruck jedoch, teile ich nicht mit ihm. Devolder war ganz sicher in guter Verfassung und zählte zu den besten Fahrern im Rennen. Aber wie gestern schon Filippo Pozzato bezeichnend sagte: „Tom Boonen war stärker als Devolder.“ An den entscheidenden Stellen war der stärkste Fahrer im Vorfeld immer vorne und hinterließ physisch einen bärenstarken Eindruck. Aber dennoch schaffte es der stärkste Fahrer am gestrigen Sonntag nur auf die 20.Position. Er hätte locker noch unter die ersten 5 fahren können, wahrscheinlich sogar Platz 2 erreichen können. Aber Boonen schien am Ende, nach diesem für ihn so enttäuschend verlaufenden Rennen nicht mehr die mentale Energie aufbringen zu können, um das zu schaffen. Somit war es am Ende Heinrich Haussler, der den 2. Platz „erbte“ und nach Mailand-San Remo erneut auf das Podest kam. Der Deutsch-Australier wusste aber ganz genau, wem er diese Position zu verdanken hatte: Dem Rennen ohne Finale!
Geschrieben von Jakob Fischer