Tour de France 2009 – Teil 2 der großen Streckenanalyse und eine Vorschau über mögliche Rennszenarien

Teil 1 hier:

https://planetofsports.wordpress.com/2009/06/30/tour-de-france-2009-%E2%80%93-teil-1-der-grosen-streckenanalyse-und-eine-vorschau-uber-mogliche-rennszenarien/

Nach den drei mehr oder weniger anstrengenden Pyrenäentagen und dem
erholsamen Ruhetag geht die Tour in Zentralfrankreich weiter. Wie üblich,
muss auch an diesem freien Renntag eine ordentliche Distanz per Bus oder
Auto zurückgelegt werden. Vom Limousin geht es ins Centre, nach Issoudun. Es
ist die erste klassische Überführungsetappe, in diesem Jahr die erste von 3.
Anfangs warten noch ein paar kleinere Hügel, aber in der 2. Rennhälfte
können die Fahrer mit einem flachen Profil rechnen. Eine klassische
Sprinteretappe eben. Wenn ich nun sicher wüsste, dass Cavendish die Pyrenäen
überstanden hat, würde ich auf ihn tippen. Falls der Brite aber schon aus
dem Rennen sein sollte, dürften die Sprinter aus der 2.Reihe (Momentan gibt
es nur einen Mann, der in Reihe 1 steht), wie Freire oder Hushovd ihre
Chance bekommen.

Die 11. Etappe nach Saint Fargeau lässt vielleicht sogar erstmals seit
Barcelona wieder Klassikerspezialisten die Chance auf einen möglichen
Etappensieg? Hier ist aber wohl eher der Wunsch Vater des Gedanken, denn die
Steigung, die sich im kleinen Dörfchen St. Fargeau im Burgund „auftürmt“,
ist wohl für keinen Sprinter ein wahres Hindernis. Trotzdem bleibt
abzuwarten, ob es jemandem möglich sein wird, die Sprinterzüge zu
überraschen. Das Zielgelände, die letzten 800 m sind ansteigend. Unter
normalen Umständen glaube ich aber, wird hier schon eine kleine
Vorentscheidung fallen können im Kampf um das begehrte maillot vert.

Und wenn nicht hier, dann sicher einen Tag später: Ein leicht hügeliges
Finale wartet zwar auch in Vittel, aber für Topsprinter ist das eigentlich
kein Hindernis. Auf 3 Sprinttage muss auch einmal wieder ein gebirgigerer
Abschnitt folgen. Als gebirgig kann man die 13. Etappe auch getrost
bezeichnen. Es ist eine wahre Vogesenetappe die auf die Fahrer wartet mit
vielen schweren Bergwertungen und am Ende einer Zielankunft im malerischen
Colmar. Die 67.000 Einwohnerstadt ist somit also zum siebenten Mal
Ankunftsort der Tour de France.

Als erste schwieriger Berg wartet der Col de la Schlecht. Mit dem Col du
Platzerwasel ist aber auch ein absoluter Brocken dabei. Wer schon viel
Rückstand im Gesamtklassement hat und etwas gutmachen möchte, der attackiert
vielleicht sogar am Col du Firstplan am Ende der Etappe. Der Firstplan ist
ungefähr 9 km lang, aber nie steiler als 6%, damit ist er bei weitem nicht
in die Schwierigkeitskategorie, wie der Platzerwasel einzuordnen. Von dort
aus sind es nur noch 20 km bergab, von denen sogar 6 steil bergab führen.
Vor allem aber die letzten 7-8 Kilometer könnten engagierten Bergfahrern die
Chancen rauben, da es dort dann absolut flach ins Ziel geht. Es ist ein
Teilstück für Ausreißer aber meiner Meinung nach auch für Klassementfahrer.
Da diese Tour quantitativ nicht mit Bergetappen aufzeigt, werden die
Spezialisten irgendwann auf die besseren Zeitfahrer Zeit gutmachen müssen
und ich denke, an diesem Tag wird man zumindest einen Schritt in diese
Richtung machen. Gewinnen wird ein Ausreißer, aber in der Gesamtwertung
werden einige ihr blaues Wunder erleben.

Danach kommt nur noch ein Tag zum ganz tief Luftholen und inhalieren, denn
die wird man dann in der letzten Tourwoche brauchen, wo fast jeder Tag das
Klassement gehörig verändern kann. Nach Besancon geht es noch in gemäßigtem
Tempo und mit guten Chancen für Ausreißer oder Sprinter, aber einen Tag
darauf wartet die 2. Bergankunft der Tour de France 2009. Zweite Bergankunft
klingt so schwierig, dabei kann man dieses Prädikat dem Anstieg nach Verbier
kaum verleihen. Es ist ein leichter Schlussanstieg und die 2. Bergankunft
dieser Tour im Ausland, in der Schweiz. 2008 ging dort bereits eine
Bergetappe der Tour de Suisse zu Ende. Kim Kirchen gewann die Verbier-Etappe
zeitgleich vor Andreas Klöden, es blieben 17 Fahrer innerhalb einer Minute.
Ich denke deshalb, für die Gesamtwertung sollte man nicht zu viel erwarten.
Es ist der erste von drei Alpentagen und wahrscheinlich trotz ansteigendem
Finish der leichteste.

Nach dem Ruhetag in der Schweiz geht es auf dem 16. Teilstück durch drei
Staaten: Schweiz, Italien und Frankreich. Der Col du Grand Saint Bernard ist
dabei also der Grenzpunkt zwischen Schweiz und Italien. Dort wird dann eine
größere Schleife ins Aostatal gefahren, bis dass es schließlich über den
Petit Saint Bernard wieder zurück in Richtung Frankreich geht.

Vom letzten Anstieg sind es aber dann noch einmal fast 30 km Abfahrt bis ins
Ziel. Ein schweres Unterfangen für Klassementfahrer, die Abstände erzielen
wollen. Ich glaube, auch an diesem Tag sind nur Fahrer abzuhängen, die nicht
mehr die Substanz haben um das Rennen wirklich vorne zu beenden, oder die
einen schwächeren Tag erwischen. Die Favoriten werden sich kaum etwas tun
können, obwohl natürlich der letzte Anstieg für Attacken durchaus einiges
bereithalten würde.

Die 17. Etappe, das ist der Scharfrichter! Diese Etappe entschiedet über
sein oder nicht sein. Hier wird das Favoritenfeld selektiert, da bin ich
sicher. Übrigens nicht nur ich, auch Andy Schleck hat meinen Eindruck
bekräftigt, dass dieser Tag der schwierigste der Frankreichrundfahrt ist. Es
ist aber keine Bergankunft auf dem Colombière, sondern ein relativ flacher
Zieleinlauf in Le Grand Bornand, der auf den letzten Metern der Etappe von
den Fahrern das letzte abverlangen wird. Hier, wo Gerdemann 2007
triumphierte, wird die Tour de France 2009 so richtig beginnen, so richtig.
Auch wenn keine Bergankunft auf die Fahrer wartet, diese Etappe hat es in
sich! Mit insgesamt 4 Bergen der 1. Kategorie ist sie wohl auch die
schwierigste Etappe der gesamten Tour. Attacken auf das Gelbe sind
vorprogrammiert. Unaufgewärmt geht es gleich vom Start weg bergauf in
Richtung Cormet de Roselend. Als 2.Berg steht der Col des Saises im Programm
und über den Col de la Romme geht es zum Colombière. Diese Anfahrt ist
übrigens die schwierigste, die man in Richtung Colombière einbauen konnte.
Nun liegt es an den guten Bergfahrern, was sie daraus herausholen. Ich
denke, das gelbe Trikot wird wackeln, aber es kann wahrscheinlich verteidigt
werden.

Auch die 18. Etappe ist entscheidend: Das einzige lange Zeitfahren der Tour
findet in Annecy statt, nahe der Schweiz. Überraschend, dass Tourdirektor
Prudhomme heuer nur einen Kampf gegen die Uhr eingebaut hat. Das passt aber
auch zum sonstigen Bild der Tour: Es warten wenige schwierige Etappen auf
die Fahrer und die Abstände werden dementsprechend wohl auch gering sein.

Ich habe vorhin davon gesprochen, dass in der letzten Woche fast nur
Höchstschwierigkeiten warten. Diese Etappe ist die einzige lichtere. Ein
Berg kurz vor dem Ziel, mit dem Col de l’Escrinet, könnte zwar für
Veränderungen sorgen, aber wer will schon sein Pulver vor dem Schlussakkord
auf dem Ventoux verschießen? Ich glaube, es wird eine Ausreißeretappe sein,
die wir in Aubenas erleben werden. Wahrscheinlich auch einruhigeres
Teilstück, aber am Tag darauf geht es dafür wohl wieder rund.

24 Stunden vor Paris steht er zum ersten Mal im Weg: Der „Mont Chauve“, der
kahle Berg ist die erste und einzige richtig schwierige Bergankunft der Tour
de France 2009. Außer dem Ventoux wartet also kein wirklich schwerer
Schlussanstieg. Damit zwingt Prudhomme, der Direktor einerseits natürlich
zur Initiative um auch auf den etwas leichteren Bergen Druck auszuüben, aber
andererseits will er der Öffentlichkeit auch die Angriffsfläche nehmen, die
Tour sei zu schwer. Zu schwer ist höchstens der Giro. Zu erwarten ist aber
kaum Reue vom Direktor der Italienrundfahrt, viel mehr glaube ich, Zomegnan
wird das leichtere Profil der Frankreichrundfahrt dazu nützen, um gegen sie
zu wettern und erneut klarzustellen, dass sein Giro das härteste Radrennen
der Welt ist.

Das sind aber Detailspekulationen: Zurück zur Etappe! Der Ventoux ist eine
Legende der Tour. 1951 stand der Mont Ventoux erstmals bei der Tour de
France auf dem Streckenplan. Obwohl er bis heute erst 13 Mal erklommen wurde
(zuletzt 2000 und 2002), hat er sich zu einem der legendärsten Gipfel der
Tour entwickelt, der 2009 bei der Tour de France (20. Etappe) zum nächsten
Mal dabei sein wird, und gehört mit dem Col du Galibier, dem Col du
Tourmalet und L’Alpe d’Huez zu den „heiligen Bergen“ der
Frankreich-Rundfahrt. Neben der schweren Steigung ist der Mont Ventoux bei
den Radrennfahrern vor allem wegen seiner kahlen Kuppe gefürchtet, da im
Sommer eine große Hitze mit starken Winden vorherrscht. Deshalb freut es
mich auch so, dass er 2009 endlich wieder mit von der Partie ist und dann
gleich in dieser Position. Der Ventoux ist extrem schwer und alle Favoriten
werden an diesem Tag alles geben. Ich kann an dieser stelle eines
versprechen, was ich sonst bei keiner Etappe machen kann: Attacke,
Spektakel, Dramatik!

Der König wird auf der 21. Etappe in Paris schließlich gekrönt und für ein
Jahr fast unsterblich sein. Die Tour de France 2009 ist außergewöhnlich, sie
ist vom Profil her leichter, aber von der Renntaktik sicherlich spannender,
als die Austragungen der letzten Jahre. Ab Samstag sind alle Radsportfans in
totaler Extasse! 3 Wochen Feiertagsstimmung, Tag ein, Tag aus! Die Tour ist
kein Erlebnis, die Tour ist ein lebendiger Mythos!

Geschrieben von Jakob Fischer

Veröffentlicht von Florian

Medien-Blogger, Community-Manager, Sportfan.

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