Chaos pur beim ersten Einsatz
In Bad Goisern, meinem Heimatort, findet seit mittlerweile 12 Jahren alljährlich ein großes Mountainbikerennen statt, die so genannte Salzkammergut Mountainbike Trophy. Dabei handelt es sich um eine wahre Herausforderung: Auf schlechtem Straßenuntergrund und teilweise über ewig lange Schotterpassagen geht es steile, enge Waldsträßchen mit bis zu 30% Steigung hinauf. Nicht zu unrecht wird es auch das härteste Mountainbikerennen Europas genannt. Die Fahrer können dabei zwischen den Extremstrecken 208 und 114km, sowie den leichteren Distanzen von 52, 37 und 27 km wählen. Es ist ein Event für Profis und Amateure und so bereiten sich sehr viele in der Umgebung auf dieses Rennen akribisch vor.
Das tat auch ich, nur aus einem ganz unterschiedlichen Anlass. Ich bekam nämlich die Möglichkeit, mich an einer der 3 Außenstellen als Streckensprecher zu versuchen und habe mich dementsprechend tief in die Materie eingearbeitet. Zuvor wusste ich zwar, dass dieses Rennen immer hier in Bad Goisern stattfindet, aber ich habe mich nie näher damit beschäftigt, geschweige denn, dass ich Interesse dafür entwickelt hätte. Heuer war das anders. Ich begann mich immer mehr mit dem Rennen, seiner Geschichte, der Streckenführung und anderen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen und diese ausgiebige Vorbereitung begann mir dann auch richtig Spaß zu machen. Es gipfelte sogar darin, dass ein „Sofasportler“ wie ich, sich einen der schwersten Anstiege des Rennens hinaufquälte. Der Grabenbach war nun wirklich ein einschüchternder Berg. Viele kleine steile Rampen und tiefe Furchen im weichen Schotteruntergrund machten es zu einer sehr schwierigen Übung. Wenn man so etwas macht, dann weiß man auch, was sich die Sportler bei diesem Rennen antun. Es erscheint einem fast unmenschlich!
Schon in den Tagen vor Samstag ließ der Wetterbericht nichts Gutes ahnen. Immer wieder schaute ich gespannt die Prognosen für Samstag an, aber es schien ein regnerischer und kühler Tag zu werden. Schließlich war er also gekommen, der 18.07. 2009, der Tag meines ersten Einsatzes. Die Befürchtungen bezüglich der Witterungsverhältnisse hatten sich leider bewahrheitet. Die Temperatur lag bei ungefähr 10° und es schüttete wie aus Eimern. Angezogen wie im Winter fuhr ich also mit 2 anderen, die mich während des Tages unterstützen wollten, nach Weißenbach.
Weißenbach ist eine Ortschaft der Gemeinde Bad Goisern. Für die Trophy ist das ein ganz wichtiger Punkt, weil dort alle 5 Kategorien durchfahren und man so einiges zu sehen bekommt. Für mich war es natürlich auch interessant und herausfordernd, hier immer den Überblick zu behalten. Dass mir da einmal aus Arbeitsmangel langweilig werden könnte, glaubte ich beim besten Willen nicht. Da ich aber keine Überdachung zu glauben hatte, wurde mir schon mulmig ob des monsunähnlichen Regens, der mir schon bei der Autofahrt dorthin nicht entgehen konnte. Für die Sportler musste das kaum auszuhalten sein, bei diesen Temperaturen und bei den Niederschlagsmassen halbwegs auf Leistung zu kommen, dachte ich mir dort bereits. In Weißenbach angekommen sah ich, dass wir zum Glück doch eine zeltähnliche Überdachung hatten, und ich so nicht den ganzen Tag im Regen stehen musste. Im Vergleich zu den Fahrern hatte ich es also doch besser erwischt. Von den Bergen herunter zeigte sich zu diesem Zeitpunkt sogar schon der Schnee und als ich dann vom Auto ausstieg fielen mir die Wintertemperaturen erst so richtig auf. Mit dünnen Handschuhen, 2 Jacken und einer dicken Hose breitete ich also meine Unterlagen aus. Ich fragte mich nur, wo war der angekündigte PC? Eigentlich sollte ich nämlich einen Computer mit installiertem Zeitenprogramm bekommen. Auf diesem PC, so wurde mir zumindest gesagt, kann ich dann die ganzen Zwischenzeiten von allen 10 Messpunkten aller 5 Kategorien aufrufen und die Zuschauer so über das Rennen informieren. Zudem sollte es an diesem PC einen Live-Modus geben, wo alle Sportler hintereinander aufgelistet werden, die über die Zeitmatte 100 m vor meinem Stand fahren.
Vom Prinzip her ein toller Service, mit dessen Hilfe ich einiges herausholen könnte aus dem Rennen, so dachte ich bereits vor Samstag. Aber was hilft mir schon das Prinzip, wenn da kein Computer steht? Sollte ich etwa die Fahrer vom Gesicht her erkennen, die an mir vorbeifahren? Zum Glück kamen bald ein paar Leute aus dem nahe gelegenen Wirtshaus und begrüßten mich. Sie sagten mir, der Techniker müsse jeden Moment kommen. Ich musste also warten und möglichst ruhig bleiben. Schön langsam wurde ich dann doch ungeduldig und etwas zornig. Vereinbart war doch 9 Uhr, warum kommt der denn bitte schön nicht pünktlich? Mit dem Hauptsprecher vom Zielgebiet, Heinz Hörhager habe ich besprochen, dass der PC um 9 Uhr schon fertig aufgestellt sein sollte, sodass ich mir den Rennverlauf bis zur Passage der Ersten in Weißenbach noch einmal genau anschauen könnte und mich so auch besser darauf einstellen könnte, wer wann kommt. Ich wusste aber noch nichts, weil weder der angekündigte PC, noch der angekündigte Techniker da waren. Minuten vergangen und wir standen in diesem Kleinzelt drinnen.
Es schüttete weiterhin in extremem Ausmaß, sodass sich bald eine 2-3cm hohe Wasserschicht auf dem Asphalt gebildet hatte. Die anderen Leute in meiner Umgebung hatten eine bewundernswerte, stoische Ruhe. Na ja, wer soll es ihnen verdenken, sie warteten ja auf niemanden. Auch meine beiden Gehilfen versuchten mich da etwas zu beruhigen, auch die störte die Situation herzlich wenig. Mein Warten hatte aber um 9:20 ein Ende, endlich war der Computerexperte da, der sich dann an sein Tatwerk machte. Die Freude hielt aber nicht lange. Der gute Mann hatte glatt etwas vergessen und fuhr wieder weg. Es versteht sich, dass er kein Wort sagte, was er denn brauche bzw warum er überhaupt wieder wegfährt. Das er noch etwas braucht, erfuhr ich aus zweiter Hand. So stöberte ich also in meinem Unterlagen und schön langsam stieg auch der Stress. Es war mittlerweile schon fast dreiviertel 10 und wir hatten noch immer überhaupt keine Informationen.
Die ersten Fahrer sollten schon um 10:15 vorbeikommen. Der Regen und die kühlen Temperaturen hatten nun doch einen positiven Aspekt: Die Teilnehmer brauchen länger, um hier anzukommen und somit würde es sich doch noch ganz gut ausgehen, bis der Techniker kommt. Ein paar Beobachter des Events sagten mir, dass sie ungefähr 20 Minuten hinter der angekündigten Zeit lägen. Nun konnte ich mich also doch wieder etwas beruhigen. In meiner Umgebung waren auch schon sehr viele Unterstützer der Rennfahrer. Ein Insider und guter Freund des 114-km Favoriten Michael Binder erzählte mir zum Beispiel, dass er glaube, Binder sei gar nicht an den Start gegangen, weil das Wetter dazu zu schlecht sei. Diese Leute waren allgemein sehr hilfsbereit und erzählten mir einiges von ihren Erfahrungen mit der Mountainbiketrophy.
Knapp vor 10 Uhr war dann das Zeittotschlagen vorbei, weil der gute Mann den PC endlich zum Laufen gebracht hatte und das Zeitentableau öffnete. Es war recht leicht zu bedienen, so war es ein geringes Problem, mit dem Programm zurechtkommen zu können. Ich studierte dann flott die ganzen Zwischenzeiten und gab sie schon an die kaum vorhandenen Zuschauer weiter. Hauptsächlich hörten mir also die Streckenposten, die freiwilligen Helfer und die Unterstützer der einzelnen Sportler zu. Für mich war der Zwischenstand, den ich da sah recht überraschend. Die Namen die ich vorne gelesen habe, waren großteils nicht einmal in meiner Favoritenliste enthalten. Ich hatte nämlich zu jeder Distanz eine ausgiebige Liste mit Sportlern angefertigt, die vorne zu erwarten waren. Ein Lukas Kubis oder Urs Huber, die das Rennen anführten, waren dort aber nicht enthalten. Gegen 10:20 kamen die ersten Fahrer vorbei. Die Spannung stieg schon, aber dann stellte sich heraus, es waren nur die Fahrer der 52 km Strecke, die zu diesem Zeitpunkt noch beim Aufwärmen waren.
Die Zuschauer jubelten schon und glaubten, es seien die Führenden der langen Rennen, aber ich konnte Entwarnung geben. Trotzdem konnte es nun nicht mehr lange dauern, bis dass die besten hier vorbeikommen. Wir schauten gespannt auf den PC, um die Führenden ja nicht zu übersehen. Komisch, plötzlich zeigte der Computer die Leute nicht mehr an, die über die Zeitmatte fuhren. Zum Glück waren es noch immer nur diejenigen, die sich warmfahren wollten, ihre Namen waren für mich jedoch nicht mehr zu sehen. So war das Einzige, was ich zu diesem Zeitpunkt sagen konnte: „ Entschuldigen Sie vielmals, momentan haben wir mit technischen Problemen zu kämpfen, wir hoffen sie aber gleich beheben zu können“. Zumindest was diese Aussage betrifft, habe ich mich inhaltlich wohl ungefähr 50 Mal im Verlaufe des Tages wiederholt. Obwohl man nichts dafür kann, dass die Technik aussetzt, ist das ein ganz blödes Gefühl, vor einem nicht funktionierenden PC zu stehen und keine Ahnung zu haben, wer gerade bei dir vorbeifährt. Das konnte doch nicht sein! Diejenigen, die sich eingefahren haben, waren dort noch zu sehen, aber von den ersten 3 der 100er Distanz tauchten am PC keine Namen auf. Die Führenden fuhren durch, aber wir wussten nicht, wer das denn nun war. 3 Minuten später tauchten dann die ersten Namen auf und so konnte ich den Zuschauern mit ordentlicher Verspätung erst die Ergebnisse durchgeben. Leider blieb es dabei und die Zeitenübertragung von der Matte dauerte ungefähr 3 Minuten. Das war natürlich nicht angenehm, überhaupt nichts Aktuelles zum Rennen sagen zu können. So halfen mir also auch noch ein paar nette Weißenbachler und sagten mir die Startnummern der Fahrer, die vorbeifuhren, sofern sie sie erkannten. Diese Startnummern suchten wir dann bei der Zwischenzeit vor dem Weißenbach, also auf der Hütteneckalm heraus. So konnte ich dann Dinge sagen, wie: „Vor 1 Minute ist gerade Radoslav Sibl hier vorbeigefahren“.
Meinen ersten Einsatz hätte ich mir wirklich anders vorgestellt. Das war eine sehr unangenehme Situation. Vor allem störte es mich, dass jeder um mich herum mehr wusste, als ich. Die Streckenposten bekamen über Funk gesagt, welcher Fahrer sich gerade an welchem Kontrollpunkt befand. Diese Funkunterstützung hatte ich nicht, weil mit funktionierendem PC das alles ja kaum ein Problem gewesen wäre. Mit funktionierendem PC hätte ich viel mehr gewusst, als die Streckenposten, aber der zeigte weiterhin nichts Neues an. Von der 214-km-Strecke und der 100-km-Strecke hatten wir ja noch die vergangenen Zwischenzeiten, so konnten wir nachschauen, welcher Fahrer bei uns vorbeigefahren ist, aber von den anderen Strecken war das problematisch.
Die drei Sprintstrecken über 53, 37 und 27 km kamen auch direkt bei mir vorbei. Ich hatte aber von denen keine einzige Zwischenzeit, sodass ich auch gar nicht nach Startnummern suchen konnte. Genervt, etwas demotiviert und nicht unbedingt top konzentriert musste ich dann auch bei mir einen kleinen Leistungsabfall konstatieren. Mir passierten ein paar Versprecher und ich wusste nicht mehr allzu viel zu sagen. Ungefähr um 12 Uhr kam dann der große, aber kurze Lichtblick! Endlich konnten wir wieder die Zwischenzeiten von den anderen Messpunkten sehen und auch unsere Zeitenübertragung klappte besser. In dieser Zeit lief es dann ganz rund. Die besten waren zwar schon wieder weg, aber wir konnten die Namen ziemlich rechtzeitig weitergeben und ich konnte auch immer einmal wieder etwas von dem einbringen, was ich mir im Vorfeld zurecht gelegt hatte. Auf das kurze, nicht ganz so hohe Hoch, folgte das viel tiefere Tief.
Es war knapp vor 13 Uhr und der PC hatte sich aufgehängt. Nichts, rein gar nichts, ging mehr. Man konnte nicht mehr hinauf- oder hinunterscrollen, man konnte keine Zeiten mehr sehen, man konnte nichts mehr nachschauen. Es ging einfach nichts mehr! Damit war mein Arbeitstag auch schon so gut wie zu Ende. Immer wieder hörte ich Spekulationen in meinem Umfeld und informierte die Zuschauer über oft gar nicht so falsche Gerüchte. So wurde mir zum Beispiel gesagt, die rennen seien durch das schlechte Wetter frühzeitig abgebrochen worden. Es entstanden viele kleinere Gerüchte und ich wusste nicht mehr, was nun stimmt und was nicht. Im laufe des Nachmittages sagte ich dann immer weniger. Ich wusste auch nicht mehr, was ich noch groß sagen sollte. Der Streckensprecher aus Gosau, der heute gar nichts zu tun hatte, kam dann auch nach Weißenbach und sorgte für Klarheit bezüglich des Rennabbruchs.
Die 208km Strecke wurde schon nach 110km beendet und die 114km Distanz gar bereits nach deren 33. Gegen 15 Uhr kamen dann nur noch langsamere Fahrer vorbei, die aber noch im Bereich des Zeitlimits waren. Ohne Computer konnte ich aber auch zu denen nicht viel sagen. „Fly“, der geplante Sprecher für Gosau meinte auch, es sei klüger nichts mehr zu sagen. Laut seiner Meinung, komme nur Blödsinn raus, wenn man rede ohne etwas zu sagen zu haben. Nun denn beendete ich meine Tatwerk gegen halb 4 mit einem sehr eigenartigen Gefühl im Bauch. Die Sache war vorbei, bevor sie eigentlich so richtig begonnen hatte. So kam es mir zumindest vor.
Geschrieben von Jakob Fischer